Mastodon oder Twitter?
Mastodon – Nachfolger von Twitter?
Viel wurde in der letzten Zeit über das neue soziale Netzwerk Mastodon berichtet. Wo steht es und was sollten Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte beim Einstieg in Mastodon wissen und beachten?
Mastodon wurde 2016 durch den Softwareentwickler Eugen Rochko im deutschen Jena gegründet. Aktuell hat der Betreiber, die Mastodon gGmbH, seinen Sitz in Berlin. Namensgeber von Mastodon sind Mastodonten, eine ausgestorbene Elefantenart.
Am Anfang war Mastodon vor allem eine Sache von Nerds und Tekkies, im November 2022 hatte das soziale Netzwerk aber bereits über zwei Millionen Nutzerinnen und Nutzer. Gegenüber aktuell rund 350 Millionen Nutzerinnen und Nutzern bei Twitter ist das allerdings noch wenig. Nach dem Einstieg von Elon Musk bei Twitter erhielt Mastodon erheblichen Zulauf, der nach dem Rauswurf Tausender Twitter-Bediensteter und der Ankündigung umstrittener unternehmerischer Entscheidungen bei Twitter noch einmal anstieg. Nach letzten Zahlen hatte Mastodon im März 2023 die Zehn-Millionen-Grenze bei der Zahl der Accounts geknackt. Laut ThinkImpact ist ein Viertel der Mastodon-Nutzerinnen und -Nutzer deutschsprachig.
Dezentrales Prinzip und Gemeinnützigkeit
Mastodon ist Teil eines Verbundes dezentraler sozialer Netzwerke, dem sogenannten Fediverse. Der große Vorteil von Mastodon auch gegenüber Twitter ist die dezentrale Organisation von Mastodon. Um Mastodon zu nutzen, muss man ein Konto bei einem sogenannten Server erstellen. Die Server werden von Organisationen oder Einzelpersonen betrieben. Im Prinzip kann jeder Nutzer eine solche Mastodon-Instanz werden. Als Nutzer kann man sich einen Server eines Betreibers aussuchen, dem man besonders vertraut, der sich mit ähnlichen Themen beschäftigt, wie man selbst oder sich in derselben Region befindet. Die Server heißen zum Beispiel „mastodon.social“ wie der von der Mastodon gGmbH betriebene Original-Mastodon-Server oder „troet.cafe“, die derzeit größte deutschsprachige Mastodon-Instanz. Im Februar 2023 existierten rund 3.900 Mastodon-Instanzen. Verzeichnisse wie „instances.social“ oder „fediverse.party“ helfen dabei, eine geeignete Mastodon-Instanz zu finden.
Bei Mastodon wird nicht getwittert, sondern getrötet, Tweets heißen auf Englisch „Toots“, auf Deutsch „Tröts“, man tootet oder retootet also und trötet oder retrötet. Wie bei Twitter kann man bei Mastodon jeder anderen Person im Netzwerk folgen, unabhängig davon, wo diese ihr Konto hat. Im Home-Feed sieht man Beiträge der Nutzerinnen und Nutzer, denen man folgt. Wird man von einer Person gefolgt, sieht diese auch die eigenen Beiträge, genauso wie bei Twitter, Facebook und anderen Netzwerken. Während bei Twitter Posts auf 280 Zeichen beschränkt ist, kann ein Mastodon-Toot bis zu 500 Zeichen lang sein. Während die Timeline bei Twitter auf einem Algorithmus basiert, ist die Timeline bei Mastodon chronologisch aufgebaut.
Sein Profil kann man jederzeit auf einen anderen Mastodon-Server verschieben. Follower, die man vorher erlangt hat, gehen dabei nicht verloren. Wer alles kontrollieren möchte und ein hohes Maß an Datenschutz anstrebt, kann einen eigenen Mastodon-Server betreiben.
Anwaltsgeheimnis bei Direktnachrichten gefährdet
Über das Verzeichnis „Mastodir“ kann man, nach Themen sortiert, Personen auf Mastodon finden. Dort gibt es auch einen Bereich „Recht/Jurist*innen“, der mit aktuell 17 Profilen, darunter diverse Rechtsanwälte, jedoch noch ausbaufähig ist.
Betreiberinnen und Betreiber von Mastodon-Instanzen haben nicht nur weitreichende Kompetenzen und können Serverregeln festlegen – sie können auch Direktnachrichten von Usern mitlesen. Wie bei regulären E-Mails im Internet sind Mastodon-Direktnachrichten nämlich nicht standardmäßig verschlüsselt – nicht, weil dies technisch nicht möglich wäre, sondern schlicht, weil das System nicht mit einer standardmäßigen Verschlüsselung aufgesetzt wurde. Womöglich, aber das ist noch nicht abschließend juristisch geklärt, ist das Mitlesen fremder Kommunikation als Betreiber einer Mastodon-Instanz noch nicht einmal rechtswidrig. Dieses Defizit beim Datenschutz ist besonders für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte relevant, die als Berufsgeheimnisträgerinnen und -träger besondere Geheimhaltungspflichten zu wahren haben. Wer als Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt von einem Nutzer/einer Nutzerin über Mastodon kontaktiert wird, hat unter Umständen bereits ein Problem, bevor die Nachricht überhaupt gelesen wird, sofern nicht die eigene Datenschutzerklärung entsprechendes gestaltet ist und eine Einwilligung der Kontakt aufnehmenden Person vorliegt.
Ungeklärte Haftungsfragen
Noch nicht abschließend geklärt ist, wer haftet, wenn über eine Mastodon-Instanz rechtswidrige Inhalte verbreitet werden oder dort Urheberrechts- oder Datenschutzverstöße geschehen und inwieweit nationales Telekommunikationsrecht und bestimmte Bestimmungen der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung auf Mastodon-Instanzen – seien sie innerhalb der EU ansässig oder außerhalb, wie etwa in der Schweiz – Anwendung findet. Es gibt schlicht noch zu wenige Entscheidungen von Gerichten und Aufsichtsbehörden zu Mastodon.
Allerdings sind selbst hohe Gerichte wie der deutsche Bundesgerichtshof bereits auf Mastodon vertreten. Dort veröffentlichen Sie zusätzlich zu ihren üblichen Kommunikationskanälen alle herausgegebenen Pressemitteilungen auch auf ihren jeweiligen Mastodon-Accounts. Diese werden unter der Mastodon-Instanz des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit betrieben.
Gemeinnützige Firma versus Tech-Konzern
Mastodon wird von der gemeinnützigen Mastodon gGmbH betrieben. In diesem Punkt unterscheidet sich Mastodon erheblich von seinem Konkurrenten Twitter. Denn Twitter wird von der X Corp. (früher: Twitter Inc.) betrieben, einem gewinnorientierten US-Unternehmen, das sogar an der Börse gehandelt wurde, bis Elon Musk die Aktie aus dem Handel an der New York Stock Exchance nahm.
Mastodon nennt sich selbst „Soziales Netzwerk nicht zum Verkauf.“ Allerdings sind schon viele Projekte als Non-Profit-Projekt gestartet, das nicht zum Ausverkauf bereit steht, und wurden dann mit der Zeit professioneller und kommerzieller. Schon heute wird Mastodon von Sponsoren wie Raspberry Pi oder dem Online-Casino AltCasino unterstützt. Mit zunehmenden Nutzerzahlen steigt der Wert des Netzwerks und macht es für Werbetreibende zunehmend interessant. „Wir haben keine Kontrolle über die Server, aber wir können festlegen, wofür wir auf dieser Seite werben“, heißt es bei Mastodon. „Unsere Organisation verweist nur auf Server, die sich konsequent zur Moderation gegen Rassismus, Sexismus und Transphobie verpflichten.“
Nicht ausgeschlossen ist, dass Mastodon eines Tages enger mit Twitter verknüpft sein wird. Wenn man derzeit aktuell in einem Mastodon-Toot ein Twitter-Handle erwähnt, fügt Mastodon mit einem Crossposting-Dienst automatisch eine Referenz zu Twitter ein. Denkbar ist, dass solche dienstübergreifenden Features in Zukunft ausgebaut werden. Vieles hängt dabei jedoch von der Unternehmenspolitik von Twitter ab. Und die erweckt aktuell nicht den Anschein, Mastodon pushen zu wollen. Um Mastodon-Beiträge auch auf Twitter veröffentlichen, benötigte man spezielle Tools wie den „Mastodon Twitter Crossposter“ oder „Moa Bridge“. Nachdem Twitter vor kurzem angefangen hat, seine API bezahlpflichtig zu machen, wurde der Service „Moa Bridge“ jedoch eingestellt. Auch der „Mastodon Twitter Crossposter“ wurde eingestellt. Mit den Tools Fedifinder lassen sich Accounts, denen man auf Twitter folgt, auf Mastodon wiederfinden und diesen Accounts dann folgen. Ein ähnlicher Service, Debirdify, wurde nach eigenen Angaben „durch Twitter ohne Warnung oder Erklärung ausgesetzt“.
Mastodon und Twitter konkurrieren – und ergänzen sich
Als Twitter auf den Markt kam, war ein Microblogging-Dienst in der Form neuartig . Viel mehr als die Frage, ob Mastodon der Nachfolger von Twitter ist, stellt sich die Frage, inwieweit Mastodon Twitter ergänzt, als ein weiterer Microblogging-Dienst im Word Wide Web. Das sogenannte Riepl’sche „Grundgesetz der Entwicklung des Nachrichtenwesens“, 1913 von dem Journalisten Wolfgang Riepl formuliert und bis heute aktuell, besagt, dass ältere Medien nie vollständig durch neuere ersetzt oder verdrängt werden und einmal eingeführte Medien auch unter veränderten Bedingungen weiterbestehen können, auch wenn sie sie gegebenenfalls anpassen müssen. So bestand einige Zeit der Glaube, das Internet werde das Radio verdrängen, während der Podcast-Boom immer noch anhält. Wahrscheinlich wird auch Mastodon nicht Twitter verdrängen. Möglicherweise ist Mastodon nur der Anfang des Durchbruchs des Fediverse.
Daniel N. Solenthaler – dank seiner mehr als 30-jährigen Erfahrung in der Softwarebranche, mit Schwerpunkt auf Kanzleisoftware, sowie einem Abschluss in Betriebswirtschaft der Universität St.Gallen ist Daniel N. Solenthaler ein ausgewiesener Experte für die Digitalisierung von Anwaltskanzleien. Durch die Betreuung von Hunderten von Kanzleien verfügt er über ein umfassendes Verständnis für die Bedürfnisse der Branche und erkennt schnell Verbesserungspotenziale. Mit gezielten Prozessoptimierungen hilft er Kanzleien, effizienter, rentabler und dynamischer zu werden.