Die Regulierung der Künstlichen Intelligenz (KI) in Europa
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Die Regulierung der Künstlichen Intelligenz (KI) ist zu einem der zentralen Themen in Europa geworden, und die Schweiz steht vor der Frage, ob sie im internationalen Wettbewerb Schritt halten kann. Dieser Artikel beleuchtet die Gründe und die Entstehungsgeschichte der KI-Regulierung in Europa und analysiert, wie die Schweiz auf diese Entwicklungen reagiert.
Die Gründe für die verstärkte Regulierung von KI in Europa sind vielfältig. Zum einen sind die Potenziale und Risiken der KI in den letzten Jahren immer deutlicher geworden. KI-Systeme haben das Potenzial, viele Bereiche des täglichen Lebens zu revolutionieren, sei es in der Medizin, der Industrie oder im Finanzwesen. Doch gleichzeitig bergen sie Risiken, wie Datenschutzverletzungen, Diskriminierung und ethische Bedenken.
Ein weiterer treibender Faktor ist der internationale Wettbewerb. Die USA und China investieren massiv in KI-Forschung und -Entwicklung, und Europa möchte sicherstellen, dass es in diesem globalen Rennen nicht den Anschluss verliert. Eine einheitliche Regulierung auf EU-Ebene könnte es europäischen Unternehmen ermöglichen, im internationalen KI-Markt wettbewerbsfähig zu bleiben.
Die Entstehungsgeschichte der KI-Regulierung in Europa reicht zurück bis 2018, als die Europäische Kommission ihre europäische KI-Strategie veröffentlichte. Dies war der Startpunkt für die Diskussionen über die Notwendigkeit einer umfassenden Regulierung von KI in Europa. In den folgenden Jahren wurden zahlreiche Studien und Berichte veröffentlicht, die die verschiedenen Aspekte von KI und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft beleuchteten.
Allerdings dauerte es noch weitere vier Jahre, bis man sich nur schon auf eine Definition von «KI-System» einigen konnte. Diese Definition lautet im aktuellen Entwurf des EU-Parlaments wie folgt:
«Ein auf Maschinen basierendes System, das so konzipiert ist, mit unterschiedlichen Autonomiegraden zu arbeiten und explizite oder implizite Ziele verfolgt, um Ergebnisse wie Vorhersagen, Empfehlungen oder Entscheidungen zu generieren, die physische oder virtuelle Umgebungen beeinflussen.»
Im Juni einigte sich das EU-Parlament schliesslich auf den Entwurf der KI-Verordnung, die als «AI-Act» bekannt ist. Dieser legt die Grundlage für die umfassende Regulierung von KI in der EU fest.
Die KI-Regulierung in Europa hat zweifellos Auswirkungen auf die Schweiz. Schon bei der Einführung der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) konnten schweizerische Unternehmen die extraterritoriale Wirkung der EU-Gesetzgebung beobachten. Ähnliches wird auch von der neuen KI-Verordnung erwartet.
Der AI-Act der EU wird voraussichtlich bis zum Sommer 2024 in Kraft treten. Nach einer Umsetzungsfrist von zwei Jahren wird die Verordnung auch in der Schweiz Anwendung finden. Dies bedeutet, dass schweizerische Unternehmen, die KI-Systeme entwickeln, verwenden oder exportieren, die neuen Vorschriften der EU beachten müssen.
Für schweizerische Anwaltskanzleien, die zunehmend auf KI-Technologien setzen oder ihre Mandantschaft diesbezüglich beraten, wird die Einhaltung der EU-Regulierung zu einer wichtigen Aufgabe. Die extraterritoriale Wirkung des AI-Act wird sich auf Anbieter, Betreiber, Händler und Importeure von KI-Systemen auswirken. Es ist daher ratsam, den Gesetzgebungsprozess in der EU aufmerksam zu verfolgen und sich frühzeitig auf die neuen Anforderungen vorzubereiten.
Verstöße gegen die KI-Verordnung können in der EU mit erheblichen Sanktionen belegt werden. Der aktuelle Entwurf des EU-Parlaments sieht ein mehrstufiges Sanktionskonzept vor, das je nach Schwere des Verstoßes unterschiedliche Geldstrafen vorsieht. Bei Verstößen gegen die in Artikel 5 aufgeführten Verbote können Strafen von bis zu 40 Millionen Euro oder 7% des weltweiten Jahresumsatzes verhängt werden. Für bestimmte Anforderungen an Hochrisiko-KI-Systeme in Bezug auf Daten-Governance und Transparenz (Artikel 10 und 13) sind Strafen von bis zu 20 Millionen Euro oder 4% des weltweiten Jahresumsatzes vorgesehen.
Dies stellt schweizerische Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen, da sie nicht nur die technischen Anforderungen der EU-Verordnung erfüllen müssen, sondern auch die finanziellen Auswirkungen von Verstößen berücksichtigen müssen.
Die Schweiz reagiert vorerst gelassen auf die Entwicklungen in der EU. Der Bundesrat hat angekündigt, bis Ende 2024 den Handlungsbedarf zu prüfen und mögliche Optionen für sektorielle und gegebenenfalls horizontale Maßnahmen aufzuzeigen. Derzeit scheint die Einführung eines speziellen KI-Gesetzes in der Schweiz noch keine Priorität zu haben.
Stattdessen plant die Schweiz, bestehende Gesetze wie das Obligationenrecht, das Schuldbetreibungs- und Konkursrecht, das internationale Privatrecht und andere einschlägige Gesetze an die neuen Anforderungen anzupassen. Diese Strategie ähnelt der Vorgehensweise, die die Schweiz bereits im Zusammenhang mit Blockchain verfolgt hat.
Die Wirtschaftsverbände in der Schweiz, wie beispielsweise economiesuisse, betonen die Bedeutung der Digitalisierung als treibende Kraft für die Wirtschaft. Sie warnen vor übermäßiger Regulierung, die die Chancen der KI zunichte machen könnte. Stattdessen plädieren sie für eine auf die Bedürfnisse der Unternehmen zugeschnittene Regulierung und vor einer technologiegetriebenen Überregulierung.
Für Anwältinnen und Anwälte ergeben sich in dieser sich entwickelnden Situation verschiedene Handlungsempfehlungen:
1. Das Verfolgen des Gesetzgebungsprozesses in der EU bezüglich des AI-Act wird entscheidend sein, da diese Gesetzgebung auch in der Schweiz extraterritoriale Wirkung entfalten wird. Der sogenannte «Brüssel-Effekt» wird sich spürbar auf Anbieter, Betreiber, Händler und Importeure von KI-Systemen auswirken, und Mandanten werden in naher Zukunft betroffen sein. Es gibt einige Websites, die für weitere Informationen konsultiert werden können, darunter www.euractiv.de, www.holisticai.com und https://www.artificialintelligenceact.eu/. Diese Webseiten sollten regelmäßig überprüft werden.
2. Bei der Beratung von Mandantinnen und Mandanten sollten Rechtsanwälte zunächst prüfen, welche KI-Systeme bei der Leistungserbringung eingesetzt werden oder in Betrieb genommen werden sollen. Anschließend sollten sie die Systeme entsprechend ihrer Risikokategorie einordnen. Tools wie der EU AI Act Compliance Checker (https://artificialintelligenceact.eu/assessment/eu-ai-act-compliance-checker/) oder capAI (https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=4064091) können bei dieser Einordnung hilfreich sein.
3. Das Gesetzgebungsverfahren in der Schweiz mag derzeit zurückhaltend sein, doch auf lange Sicht sollten Anwälte den Einfluss der KI-Gesetzgebung auf verschiedene Rechtsgebiete im Auge behalten.
Die KI-Regulierung in Europa nimmt Fahrt auf, und die Schweiz muss ihre Position in diesem sich entwickelnden Umfeld sorgfältig abwägen. Während die EU entschieden in Richtung umfassender Regulierung voranschreitet, beobachtet die Schweiz die Entwicklungen und plant vorerst keine eigenständige KI-Gesetzgebung. Stattdessen setzt die Schweiz auf die Anpassung bestehender Gesetze an die neuen Anforderungen. Für Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte ist es entscheidend, frühzeitig über die Auswirkungen der KI-Regulierung informiert zu sein und Mandanten bei der Einhaltung der neuen Vorschriften zu unterstützen. Die kommenden Jahre werden zweifellos eine spannende Zeit für die KI-Regulierung und ihre Auswirkungen auf die Rechtspraxis in der Schweiz sein.
Daniel N. Solenthaler – dank seiner mehr als 30-jährigen Erfahrung in der Softwarebranche, mit Schwerpunkt auf Kanzleisoftware, sowie einem Abschluss in Betriebswirtschaft der Universität St.Gallen ist Daniel N. Solenthaler ein ausgewiesener Experte für die Digitalisierung von Anwaltskanzleien. Durch die Betreuung von Hunderten von Kanzleien verfügt er über ein umfassendes Verständnis für die Bedürfnisse der Branche und erkennt schnell Verbesserungspotenziale. Mit gezielten Prozessoptimierungen hilft er Kanzleien, effizienter, rentabler und dynamischer zu werden.