Autorin Maria Kattner – Theaterautorin und Schriftstellerin – info@timesensor.ch
Rechtsanwalt in Home Office in Zeiten von Corona?
Wie Corona auf unser Leben
auch jenseits des Home Office, langfristige Wirkung hatte
Home Office. Wenn die Stube zum Arbeitsplatz und der Laptop zum Mundwerk wird. Ob Rechtsanwalt oder Ärztin: Ohne Laptop mit funktionierendem Mikrofon und Kamera ist man in der Zeit der Zoom-Meetings fast schon mundtot. Unsere Stimmen werden durch Mikrofon- und Lautsprecherqualität verzerrt und Make-up wird durch gezielt platzierte Lichtquellen ersetzt. Kommunikation, wie wir sie kennen, wurde fast gänzlich auf den Kopf gestellt.
Und wer am Tage des Lockdowns nicht in der finanziellen Situation war und die Tools für funktionierende Kommunikation in dieser Welt besass, war von der Zivilisation und deren Veränderung ausgeschlossen. Die Laptop-Nachfrage war in kurzer Zeit so hoch, wie lange nicht mehr. Mitte März berichtete die „Financial Times“, dass europäische Unternehmen Laptops horteten, um genügend Geräte für ihre Mitarbeiter*innen im Homeoffice zur Verfügung stellen zu können. In den USA redete man von „Nachschubproblemen“, da in China die Fabriken in Folge des Lockdowns mehrere Monate stillstanden und die Lieferketten unterbrochen waren.
In dieser neuen Welt der Zoom-Meetings hat sich zudem unsere Kommunikation beträchtlich gewandelt. Die Zeichen für „gelungene“ Kommunikation in der Linguistik sind fast gänzlich ausser Gefecht gesetzt worden. Augenkontakt, Back-Channel-Behaviour und Rederecht können via Zoom nur beschränkt oder, im Falle einer technischen Störung, gar nicht umgesetzt werden. Unser Gehör hat sich an Verzögerungen bei Antworten sowie innerhalb von Satzstrukturen, wegen technischen Störungen, gewöhnt und kann Lücken fast gänzlich füllen. Wenn ein*e Gesprächspartner*in spricht, aber sich der Mund augenscheinlich nicht bewegt, dann ist das kein Grund zur Verwirrung, unsere Augen haben sich daran gewöhnt, dass das, was wir sehen und was wir hören, nicht übereinstimmen muss. Auch, dass der Mensch sich immer visuell miterleben kann hat kein Faszinationspotential mehr. Stattdessen ist es jetzt fast schon unhöflich, wenn man den Popel in der Nase nicht selbst bemerkt. Jede*r ist für sich selbst verantwortlich! Die Kamera muss auf das Gesicht, nicht auf die Brust zeigen, was die Leute sehen liegt ganz in der eigenen Hand. Wenn einem jemand in das Dekolleté schaut, dann ist nicht die Schuld des/der Voyeur*in. Es hätte auch nicht ein anderes Oberteil gewählt werden müssen, nein, der Bildschirm hätte adjustiert werden sollen! Aber das ist ja alles bald überstanden und Zoom bleibt, was es ist; eine Übergangslösung. Oder?
Eine Übergangslösung ist eine Alternative. Eine Alternative, die in Folge des Nicht-Vorhandenseins von etwas an deren Stelle benutzt wird. Beispielsweise Taschentücher und Servietten vom Lieferservice, wenn es kein Klopapier mehr zu kaufen gibt. Aber können Übergangslösungen zu Dauerstrategien werden? Im Falle des Klopapiers ist der Fall klar. Aber wie sieht es mit Meetings und Online Schulen aus? Könnte digitale Kommunikation, wie wir sie in Zeiten der Corona Pandemie adaptiert haben, einen bleibenden Unterschied in unserer Eistellung hinsichtlich physischen Präsenzpflichten hinterlassen?
Während des Lockdowns haben sich sehr viele Menschen über Nacht an neue Richtlinien anpassen müssen. Beispielsweise wurde verlangt, dass Kinder signifikante Zeit vor dem Bildschirm verbringt, ihren Lehrer*innen in kleinen Kästchen zuschauen und diese kopieren. Vor einigen Monaten wurde noch vehement die Überzeugung vertreten, dass Kinder auf keinen Fall mehr als x Stunden vor den elektronischen Geräten verbringen sollten. Jetzt ist das Vorschrift. Während letztes Jahr noch die Vorschriften für Home-Schooling verschärft wurden, ist jeder Haushalt nun verpflichtet, ihren Kindern eine Ausbildung von Zuhause aus zu bieten. „Vielleicht war doch nicht der/die Lehrer*in das Problem“, klagen viele in den sozialen Medien. Ob aber tatsächlich alle Kinder nach den Corona-Massnahmen wieder präsent im Unterricht an der Schule teilnehmen, ist fraglich. Wie die Schweizer Illustrierte berichtet, sehen manche Familien die Massnahmen sogar als Chance, die Bildung ihrer Kinder selbst in die Hand zu nehmen, und Stay-at-Home war eine Art Testlauf.
Klar ist, dass nach den Corona-Massnahmen das Leben nicht wieder zu „normal“ zurückkehren wird. Vielmehr werden wir neue Verhaltensmuster und Massstäbe adaptieren. So schnell werden wir die kleinen Desinfektionsmittelspender am Eingang der Migros nicht los. Hygiene-Massnahmen werden nicht einfach vergessen, wahrscheinlicher wird sein, dass nachhaltige Verhaltensmuster in unser Leben implementiert werden, wie zum Beispiel einen besseren Umgang mit Krankheitssymptomen, während sich früher viele Arbeitnehmer*innen trotz Grippe zur Arbeit schleppten, obwohl dies eigentlich gesetzlich verboten ist. Durch neue Awareness bezüglich Ansteckung und Hygiene ist es sehr wahrscheinlich, dass einerseits Arbeiter*innen Krankheiten ernster nehmen und zuhause bleiben, andererseits Arbeitgeber ihrer Pflicht, kranke Arbeiter*innen nach Hause zu schicken, vermehrt nachkommen.
Wie gross der Einfluss des Lockdowns auf Kommunikation, Hygiene, Home-Schooling etc. tatsächlich war, wie nachhaltig wir uns den neuen Formen bereits unumkehrbar angepasst haben, das lässt sich natürlich nicht vorhersagen.
Aber dass es nur nach vorne und nicht zurück geht, ist klar. Und im Händewaschen sollten mittlerweile sowieso alle Profis sein, zumindest dort sollten wir uns an die Nase nehmen und nicht in alte Muster zurückfallen. Was die Kommunikation betrifft, so sehr Zoom das Potential hat, eine Dauerstrategie bei Meetings und in Schulen zu werden, mit einem Bier lässt es sich trotzdem angenehmer pläuscheln.